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Aktuelle Meldungen

Termine 2023

09.07. und 03.09.2023, 11-13 Uhr Rundgang "Auf den Spuren der Bücherverbrennung durch Mainz", Treffpunkt: Treffpunkt: Rheinuferpromenade am Ticket Office der Köln-Düsseldorfer. Endpunkt: 117er Ehrenhof
17.09.2023, 11-13 Uhr Rundgang "Auf den Spuren der Migration durch Mainz", Treffpunkt: Ernst-Ludwig-Platz (Dativius-Victor-Bogen), Endpunkt: Neubrunnenstraße
12.11.2023, 11-13Uhr Rundgang "Grabsteine erzählen Geschichten – Auf den Spuren von Mainzer jüdischen Familien auf dem Neuen Jüdischen Friedhof, Treff- und Endpunkt: Neuer Jüdischer Friedhof, Untere Zahlbacher Straße (Platz vor Eingang Trauerhalle). Männer bitte Kopfbedeckung mitbringen!

Nachruf auf Joan Salomon

Joan Salomon wurde 1945 in New York geboren. Ihre Mutter Helina Long, geb. Mayer, 1914 in Essenheim bei Mainz geboren, konnte als einzige ihrer Familie 1939 in die USA emigrieren. Helinas Mutter Jettchen Mayer und ihre Schwester Ruth blieben in Mainz zurück.

Helinas Vater Markus Mayer hatte im Ersten Weltkrieg für Deutschland als Soldat an der Ostfront gekämpft und war mit schweren gesundheitlichen Schäden aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft heimgekehrt. Die Mayers, seit Generationen in Essenheim ansässig, betrieben einen Lebensmittelladen im Ortszentrum. Als die jüdische Bevölkerung nach 1933 besonders auf dem Land immer stärker angefeindet und verfolgt wurde, mussten Markus und Jettchen Mayer das Geschäft aufgeben und zogen mit ihren beiden Töchtern in die Stadt Mainz. Sie wohnten in der Klarastraße 29. Markus Mayer starb 1935. 1941 musste seine Witwe die Wohnung räumen und zunächst in das „Judenhaus“ Adam-Karrillon-Straße 13 umziehen. Zuletzt wohnte sie mit ihrer Tochter Ruth im „Judenhaus“ Margaretengasse 21. Von dort wurden beide am 30. September 1942 über Darmstadt in das besetzte Polen, vermutlich direkt in das Vernichtungslager Treblinka, deportiert und ermordet.

Helina wurde bis zu ihrem frühen Tod im Alter von nur 57 Jahren von Schuldgefühlen geplagt, dass es ihr nicht gelungen war, ihre Mutter und ihre Schwester aus Nazi-Deutschland zu retten. Ihrer Tochter Joan erzählte sie fast nichts über ihre Vergangenheit, es war zu schmerzhaft. Das Schweigen belastete Joan während ihrer gesamten Kindheit und Jugend. Im Jahr 2012, lange nach dem Tod der Mutter, begann sie schließlich, über ihre Familiengeschichte zu forschen, und reiste das erste Mal nach Essenheim. Sie lernte alte Essenheimerinnen kennen, die ihr von ihren Großeltern und ihrer Mutter erzählten. Sie kam immer wieder nach Deutschland und schloss in Essenheim und Mainz viele Freundschaften. Sie sorgte dafür, dass vor dem Haus in der Klarastraße 29 in Mainz mit Stolpersteinen an ihre Angehörigen erinnert wird. Doch dabei beließ sie es nicht. Mit bewundernswerter Energie brachte sie sich selbst die deutsche Sprache bei und machte es sich zur Aufgabe, im Stadtarchiv Mainz die Geschichte anderer deportierter jüdischer Mainzerinnen und Mainzer zu erforschen, um auch für andere Holocaust-Opfer, die keine Nachkommen hatten, Stolpersteine setzen zu lassen und die Patenschaft zu übernehmen: für die Familien Blättner, Hirschberger, Feiner, Haas, Krieger, Frohwein und Nathan. Und wann immer es ihr möglich war, kam sie selbst zu der Zeremonie nach Mainz und stellte die Lebensgeschichten der Menschen vor, deren Namen mit Hilfe der Stolpersteine vor dem Vergessen bewahrt werden.

Joan war uns im Lauf der letzten zehn Jahre eine liebe Freundin geworden. Zahllose E-Mails gingen über den Großen Teich, und ab und zu tauschten wir uns per Skype aus. Joan litt stark unter den Corona-bedingten Einschränkungen in ihrem Alltag und vermisste schmerzlich die Möglichkeit zu reisen. Wie stolz war sie, als sie es im letzten Jahr endlich geschafft hatte, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen, nach einem jahrelangen Kampf mit dem deutschen Konsulat in New York und vielen bürokratischen Hürden. Wie gerne wäre sie bald wieder nach Mainz und Essenheim gereist – und immer wieder dachte sie darüber nach, auf Dauer zurückzukommen.

Kurz vor Weihnachten 2022 hatte Joan einen Autounfall und erlitt schwere Verletzungen. Sie starb Ende Februar. Die Nachricht von ihrem Tod hat uns bestürzt. Wir trauern um unsere Freundin Joan Salomon und werden sie vermissen.

Stolpersteine für Familie Blättner, Eisgrubweg, 2016[Bild: VfsG]